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Placido Domingo bei einem Konzert in der Elbphilharmonie.

© Christian Charisius/dpa

Berlin-Auftritt nach MeToo-Vorwürfen: Draußen Protest, drinnen Applaus – Placido Domingo singt an der Staatsoper

Aktivistinnen hatten wegen Belästigungsvorwürfen gegen Placido Domingo ein Auftrittsverbot für Berlin gefordert. Er sang dennoch.

Berlin ist nicht Hamburg. Oder Mailand oder Salzburg. In den anderen europäischen Städten, in denen Placido Domingo zuletzt aufgetreten ist, wurde er demonstrativ gefeiert. Beim österreichischen Nobelfestival ebenso wie in der norddeutschen Hansestadt, wo er zu Beginn seiner Karriere von 1967 bis 1975 Ensemblemitglied der Oper war. Mitte Dezember gab es 18 Minuten standing ovations in Italien.

Vor dem Auftritt des Sängers in Dieter Dorns „Traviata“-Inszenierung an der Berliner Staatsoper dagegen schickte die Initiative „Pro Quote Bühne“ einen offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister, in dem ein Auftrittsverbot für Domingo gefordert wird.

Mit dem Argument, dass Arbeitgeber nach dem Gleichbehandlungsgesetz verpflichtet sind, ihre Beschäftigten „vor allen sexualisierten Verhaltens- und Handlungsweisen“ zu schützen. Diese Pflicht habe Matthias Schulz, der Intendant der Staatsoper, mit der Einladung des Sängers verletzt.

Matthias Schulz verteidigt Domingo vorerst

In den USA kann Placido Domingo nicht mehr auftreten, seit eine ganze Reihe von Frauen, anonym oder auch mit Klarnamen, im vergangenen Sommer #MeToo-Vorwürfe gegen ihn erhoben haben.

Die Vorwürfe, um die es geht, liegen teilweise Jahrzehnte zurück, und weil es bislang nicht zur Anklage kam, gilt für die Leiter der europäischen Kulturinstitutionen weiterhin die Unschuldsvermutung.

In einer Stellungnahme erklärte Matthias Schulz, Domingo habe sich Unter den Linden „immer vorbildlich verhalten“, weshalb keine „Grundlage für eine Vorverurteilung“ bestehe. Darum halte man sich an den bereits vor Bekanntwerden der #MeToo-Vorwürfe geschlossenen Vertrag: „Es wurden zahlreiche Gespräche mit Personalvertreterinnen und Mitarbeiterinnen dazu geführt, mit der uneingeschränkten Erkenntnis, Placido Domingo auftreten zu lassen.“

Aktivistinnen demonstrierten vor der Oper

Das Berlin-Gastspiel des Sängerstars war am Donnerstag sogar Thema im Abgeordnetenhaus. Kultursenator Klaus Lederer kündigte an, er werde sich zeitnah mit dem Staatsopernintendanten austauschen, und auch die Frauen von „Pro Quote“-Bühne wollen das Gesprächsangebot von Matthias Schulz annehmen, wie eine Sprecherin auf Tagesspiegel-Nachfrage erklärte.

Die Aktivistinnen waren am Abend vor der Oper mit Plakaten präsent und teilten Flugblätter aus, im Saal selber aber kam es zu keinen weiteren Aktionen.

Hospitantinnen warnten sich gegenseitig vor Kollegen

Im „Hamburger Abendblatt“ hatte die amerikanische Kulturmanagerin Laura Berman, die seit dem Herbst die Oper in Hannover leitet, zum Fall Domingo erklärt: „Die Maßstäbe von heute sind oft schwer an die Geschichte anzulegen. In der Zeit, über die bei den Vorwürfen gesprochen wird, war das Operngeschäft noch viel stärker als heute von Männern dominiert.

Hospitantinnen und Assistentinnen haben sich gegenseitig vor bestimmten Kollegen gewarnt. Manche von uns konnten Männer, die übergriffig waren, besser abblitzen lassen als andere. Wenn man sich in einer Abhängigkeitsbeziehung befindet, ist dies unter Umständen kein leichter Schritt.“

Sie selber habe manchmal das Gefühl gehabt, dass sich ihre beruflichen Chancen verschlechterten, weil sie nicht „mitspielen“ wollte.

134 Rollen hat Domingo interpretiert

Fraglos ist Placido Domingo ein Jahrhundertkünstler. 134 verschiedene Rollen hat er in seiner langen Karriere interpretiert, und auch nach seinem altersbedingten Fachwechsel vom Tenor zum Bariton beeindruckt er weiterhin durch Stimmglanz wie Bühnenpräsenz.

Selbst wenn er sich, wie am Donnerstag, vor Vorstellungsbeginn wegen einer Erkältung als indisponiert ansagen lässt. In Verdis „Traviata“ verkörperte Domingo in jungen Jahren der Sohn, der mit Haut und Haar der Edelkurtisane Violetta Valery verfallen ist.

Mittlerweile übernimmt er in dem Stück die Rolle des Vaters, der seinem Filius den Liebestraum zerstört, weil er auf einer Beendigung der unstandesgemäßen Liaison besteht. Vom „Guten“ ist Domingo zum „Bösen“ geworden.

Das Publikum hängt an seinen Lippen

Auftrittsapplaus bekommt der Sänger nicht, als er im zweiten Akt ins Liebesnest von Alfredo und Violetta platzt, doch der Saal hängt im folgenden dramatischen Duett an seinen Lippen, spendet schließlich prasselnd Applaus.

Mit minimaler Gestik unterstreicht Domingo die innere Bewegung, die den Vater angesichts der Begegnung mit der Titelheldin erfasst. Stimmlich schlägt sich das Wechselbad der Gefühle in einem Schwanken zwischen forderndem Forte und Momenten der vokalen Brüchigkeit nieder.

In diesem bewegenden Gesang wird zugleich auch die Tragik des Privatmanns Domingo spürbar, der sich keiner Schuld bewusst ist, weil bei ihm Opernfiktion und Lebensrealität wohl allzu lange ineinander flossen.

Er ist umgeben von lauter jungen Leuten

Wie sehr er Theatermensch ist, der die Bühnenluft zum Leben braucht, spürt man aber ebenso. Und ist bewegt. Gerade weil der 78-Jährige umgeben ist von lauter jungen Leuten, die einer Nach-Nachfolge-Generation angehören und grundlegend anders über das Miteinander von Mann und Frau denken als er.

Der 1988 geborenen Tschechin Zuzana Markova gelingt eine starke Sterbeszene der Traviata, als Alfred begeistert der 34 Jahre junge Franzose Benjamin Bernheim mit einem Tenor, der ebenso viel Eleganz hat wie Leuchtkraft.

Die Staatskapelle spielt fantastisch unter der Leitung des 25-jährigen Thomas Guggeis, der von 2016 bis 2018 Barenboims Assistent war und am Ende dieses aufregenden Abends auf offener Bühne von Intendant Matthias Schulz eine Stelle als Kapellmeister Unter den Linden ab der nächsten Spielzeit angeboten bekommt. [Das zweite Konzert von Placido Domingo am Sonntag ist bereits ausverkauft.]

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